14/09 Tagebuch einer Genesung
Vor einigen Tagen kam das erste Exemplar eines Buches bei uns an, an dem wir über zwei Jahre gearbeitet haben und auf das wir sehr stolz sind. Das Buch heißt »14/09 Tagebuch einer Genesung« und es ist das Buch der Fotografin Natalie Kriwy, die darin ihre Brustkrebserkrankung und ihre Heilung dokumentiert. Dies ist die Geschichte dieses Buches.
Im Frühjahr 2013 war ich Art Director des stern. Die Titelgeschichte einer Ausgabe im Mai ging über Angelina Jolie, die ihren Brustkrebs und die damit verbundene Mastektomie (also das Entfernen der Brüste) publik gemacht hatte. Jolie ist Trägerin des BRCA1-Gens, das ein wiederholtes Auftauchen der Krebserkrankung ohne Mastektomie höchst wahrscheinlich macht. Und da eine Brustamputation bis heute ein Tabuthema ist, wollte Jolie darauf aufmerksam machen.
Wir arbeiteten also an dieser Titelgeschichte und überlegten, wie wir sie bebildern könnten, als die Lübecker Fotografin Natalie Kriwy zufällig in die Bildredaktion kam (sie hatte einen ganz normalen Mappentermin), die Arbeit der Kollegen aus der Bildredaktion mitbekam und erzählte, dass sie die gleiche Krankheit gerade erfolgreich überstanden und ihre gesamte Krankheitsgeschichte fotografisch begleitet hätte. Ein unglaublicher Glücksfall für uns! Vor allem, weil die Fotos ganz besonders waren. Denn Natalie hatte ihren Krankheits- und Heilungsverlauf nicht nur lückenlos in zahlreichen Selbstportraits dokumentiert (sie hatte sogar während der Operation die Kamera aufgestellt und von einer Helferin bedienen lassen), die Fotos strahlten darüber hinaus einen fast unheimlichen Optimismus aus. Ich war tief beeindruckt.
Die Bilder erschienen auf sieben Doppelseiten, was ungewöhnlich viel ist in einer Zeit, in der der stern ziemlich dünn geworden ist. Und mich ließen die Bilder, vor allem aber Natalie selbst mit ihrer strahlenden, optimistischen Art nicht wieder los. Zusammen beschlossen wir, aus den Bildern ein Buch zu machen.
Als sich meine Zeit beim stern dem Ende zuneigte (mittlerweile schon Anfang 2014), nahmen wir den Faden wieder auf. Über das gesamte vergangene Jahr waren wir in Kontakt geblieben und hatten erste Ideen zur Machart des Buches ausgetauscht, aber erst jetzt fand sich die Zeit, konkret zu werden.
Gemeinsam mit der Lektorin Isabelle Erler, meiner Frau, suchten wir nach Wegen, in der Umsetzung des Buches möglichst unabhängig zu bleiben. Wir wollten mit der fertigen Idee des Buches an Verlage herantreten, weil wir ahnten, dass dieses Buch nicht leicht unterzubringen sein würde. Denn das Thema war ja nicht einfach, auch wenn Natalie es in ihren Bildern so wunderbar gelöst hatte. Wir wollten das Buch genau so machen, wie wir es im Kopf hatten. Isabelle schlug deshalb vor, nach Sponsoren zu suchen. Eine Sponsorenmappe entstand und wurde an eine Reihe medizinischer Unternehmen verschickt, die in der Krebsforschung und -behandlung tätig sind.
Mittlerweile hatte Natalie uns ihr gesamtes Material gezeigt. Und das waren nicht nur die Selbstportraits, das war auch eine komplette Tagebuchdokumentation inkl. der akribischen Aufzählung sämtlicher Medikamente, die Natalie Tag für Tag zu sich hatte nehmen müssen, und ein weiteres Fotoprojekt, das als Stil-Fotografie alle Gegenstände zeigte, die Natalie aus dieser Zeit aufbewahrt hatte (z.B. Haare und Wimpern, die ihr ausgefallen waren und die sie in Plastiktüten aufbewahrt hatte). Das ganze hatte die Qualität von Konzeptkunst. Eine lückenlose Dokumentation. Natalies Versuch, ihre Krankheit zu begreifen, mit ihr umzugehen und sie zu besiegen. Unsere Hochachtung wuchs.
Dann fanden wir mit dem Pharmaunternehmen AstraZeneca tatsächlich einen Sponsor, der bereit war, den gesamten von uns kalkulierten Betrag zu bezahlen. Es war wie ein kleines Wunder. Wir konnten mit der Arbeit jetzt wirklich beginnen. Und wir konnten nun nach einem Verlag suchen, dem wir das Buch komplett lektoriert und gestaltet, also druckbereit vor die Tür würden stellen können.
Die Suche nach dem Verlag gestaltete sich trotzdem schwieriger, als angenommen. Offensichtlich scheuten die Fotobuchverlage, die wir fragten, das Risiko, ein so schwieriges Thema zu veröffentlichen. Eine Weile zogen wir deshalb in Betracht, das Buch im Eigenverlag zu publizieren, bis sich der Münchener PRESTEL-Verlag meldete. Wir waren am Ziel! Das Buch würde erscheinen.
In den folgenden Monaten lektorierte Isabelle Natalies Tagebuch und alle anderen Texte. In meinem Büro entstand gemeinsam mit Inga Albers, mit der ich schon die Monografie über Erik Spiekermann gemacht hatte, die Gestaltung. Der Verlag ließ uns freie Hand.
Jetzt ist das Buch da. Ab sofort kann es in jeder Buchhandlung oder direkt über den Verlag bestellt werden.
Große Projekte, die lange dauern, direkt nach ihrer Veröffentlichung qualitativ zu beurteilen, fällt mir als Macher immer sehr schwer. Ich bin dann noch zu nah dran, brauche Abstand, sehe zu viele Details, die mir nicht gefallen. In diesem Fall ist es anders. Das Buch ist toll geworden! Und ich wünsche mir nun, vor allem natürlich für Natalie, dass es möglichst viele Menschen entdecken und kaufen.
Ich möchte mich bedanken bei allen, die mitgemacht haben. Bei Natalie, Isabelle und Inga, bei unseren Sponsoren und beim Verlag, der das Buch wunderschön produziert hat.
Das Thema bleibt schwierig. Noch immer ist die Diagnose Brustkrebs für Betroffene und Angehörige der absolute Horror und leider nicht selten. Und das Buch zeigt, wie es ist. Es beschönigt nichts. Aber diese Geschichte geht gut aus. Und Natalie, diese erstaunliche, zarte und gleichzeitig starke, freundliche, humorvolle Person, zeigt, wie man es schafft, mit Kraft und Würde durch die Krankheit zu gehen. Sie ist ein Vorbild in jeder Beziehung. Und ich bin stolz und glücklich, sie zu kennen.