Für Lo
Mein erster Chef, mein Mentor und eines meiner großen Vorbilder: Lo Breier ist unerwartet verstorben. Ein letzter Brief.
Lieber Lo, 1988 fuhrst Du in einem dunkelblauen Jaguar XJ an meiner Hochschule in Kiel vor und alle machten große Augen. Ich hatte Dich zu einem Vortrag eingeladen. Du sahst ungefähr so aus wie auf dem Foto und ich fand Dich toll. 1990 begann ich ein Praktikum bei X, und weil Du am Computer eine Null warst, kam ich gerade recht – zum Glück für uns beide, denn wir waren für einige Zeit ein super Team. Ich habe Dir so viel zu verdanken. Du brachtest mir Geschmack, Handwerk und Ruhe bei und wie man ein Stück Karton gerade aus der Hand schneidet. Du stelltest mich den richtigen Leuten vor. Ohne Dich wäre alles anders gekommen, wahrscheinlich nicht besser. Ich wünschte wir hätten uns nochmal gesehen zuletzt. Dass Du nicht mehr da bist, macht mich fassungslos. Gute Reise, mein Lo. Dein Johannes
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2016 batest Du mich anlässlich Deiner Ausstellung »Lo’s Hawara« um einen Beitrag und ich erinnerte mich an eine Anekdote aus unserer Zusammenarbeit mit Neville für die UFA. Hier ist sie nochmal:
London 1991
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»Du fährst zu Neville!«, sagt Lo zu mir.
»Coooool!«, sagt Kai.
»Ach wie toll!«, sagt Ayka.
Hanno grinst und dreht Haare hinterm Ohr. Simone schreibt gleich Listen, was ich mitbringen soll. Shortbread und so. Ich sage erstmal gar nichts, finde aber alles super. Ich fahre nach London. Zum ersten Mal in meinem Leben. Mit 26. Das muss man sich mal vorstellen.
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Wenige Tage später stehe ich um 9 p.m. vor einer schweren Eisentür im East End. Ein Typ macht auf. Das Büro ist noch voll. Alle da, Neville, Fwa, auch Lo. Reden durcheinander und ich krieg nichts mit. Bin voll aufgeregt.
»Wo schläft er denn eigentlich?«, fragt Neville.
Lo zuckt mit den Schultern und macht das Lo-Gesicht. Das Lo-Gesicht ist das Gesicht, das ausdrückt:
»Ich weiß zwar noch nicht wie, aber das wird schon!«
Ich mag das Lo-Gesicht.
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Am nächsten Tag.
»Das ist gut!«, sagt Neville.
Echt jetzt? Mein Entwurf? Das ist ja alles kaum zu glauben: Eben war ich noch ein winziger Designwurm und jetzt bin ich hier bei IHM. Bei GOTT! Und ER findet MEINEN Entwurf gut! Neville zuppelt noch fix ein bisschen rum, hier paar Striche, da die Typo, rasend schnell in FreeHand und *schwups* – schon fertig.
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Und nun? Ist Donnerstag und ich fahre erst Samstag. Lo ist schon weg. Mal fragen, was die Kollegen heute Abend so machen.
»Muss zum Sport.«
»Bin eingeladen.«
»Muss nach Hause.«
Selten in meinem Leben habe ich mich so uncool gefühlt.
»Du musst ins Subterrania!«, sagt Giles noch,
»Kommst du aber nicht allein rein, brauchst du Begleitung. Musst du vorher in den Pub an der Ecke, was klar machen. Good Luck! Bye!«
Supernett hier alle.
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Um 11 p.m. hocke ich mit vier Pint intus an der Bar vom Anchor und bin zu allem bereit. Da drüben am Tisch sitzen drei Supergirls, da geh ich jetzt mal hin.
»Hallöchen, ich bin der Johannes. Nehmt ihr mich mit ins Subterrania?«
»Hihihi«, machen die Supergirls.
»Hohoho«, machen die Superboys, die neben den Supergirls sitzen.
Mist, die hatte ich gar nicht gesehen. Geht aber klar. Hihihoho. Was ich denn so mache in London?
»Ich bin Designer und arbeite bei … NEVILLE BRODY!«
»Neville who?«
Okay, funzt nicht. Egal, geht los.
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Monsterschlange vorm Club. Aber Fußball ist ja immer ein Thema. Eine Stunde später sind wir fast drin. Da stehen jetzt nur noch diese zwei Typen. Der eine ist sehr klein, sehr breit und sehr tief. Sieht aus wie ein Würfel. Der andere sieht aus wie Shaft. Würfel und Shaft gucken sehr böse.
Zufällig bin ich gerade ganz vorn.
»Wie viele?«, fragt mich der Würfel.
»Sieben!«, sage ich und mache mein lustiges Gesicht.
»Zu viele!«, sagt Shaft. »Ihr kommt hier nicht rein. Next.«
»Maximal drei auf einmal. Hätten wir dir sagen sollen«, sagt ein Supergirl.
Macht nichts. Wir stellen uns noch mal an.
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Noch eine Stunde später stehen wir wieder vor Shaft und dem Würfel. Ich tue diesmal so, als wenn ich gar nicht da bin, aber Shaft entdeckt mich.
»Hey Bubi! Nicht kapiert? Ihr! Kommt hier! Nicht! Rein! Next.«
Kacke. Und ich bin schuld. Die Supergirls und Superboys ziehen ab.
Ich glotze noch ein bisschen. Ganz schön kalt hier.
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Moment mal! Das ist doch… NENEH CHERRY!! Dahinten am Nebeneingang mit ein paar Leuten! Vielleicht nimmt die mich ja mit rein!
»Hi Neneh, ich bin Johannes! Kann ich mitkommen?«
»Klar! Das ist übrigens Eagle-Eye. Wie geht’s denn so?«
»Alles cool! Ich arbeite gerade bei … NEVILLE BRODY!«
»ECHT? SUPERCOOL! Komm, wir trinken was und tanzen bisschen ab!«
Ein Mann tippt mir auf die Schulter.
»Alles klar bei dir?«
Mist, ich habe Selbstgespräche geführt. Passiert immer, wenn ich aufgeregt bin. Neneh ist verschwunden.
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Da kommt ein Typ auf einem Fahrrad in Schlangenlinien. Vor dem Club fängt er an zu brüllen.
»EY! DU ARSCHLOCH! DU HAST MICH NICHT REINGELASSEN!!!«
Der meint den Würfel. Der ist auch weggeschickt worden. So wie ich!
»EY! ARSCHLOCH! JA, DU! KOMM HER!«
Der Würfel wird nervös, das sieht man. Shaft versucht, ihn zu beruhigen.
»EY! PISSER! KOMM HER! DU TRAUST DICH JA NICHT!«
Der Würfel kocht. Jetzt kommt er rüber. Schupst den Typ vom Rad. Mann, ist der Typ blau. Der Würfel tänzelt ein paar mal um den Typen rum. Der Typ weiß gar nicht, wo er ist. Dann tritt der Würfel zu. Einmal auf die Knie und der Typ bricht zusammen. Dann in den Bauch. Und noch mal und noch mal. Der Typ winselt. Der Würfel tritt noch mal zu und spuckt auf den Typen. Dann geht er zurück zu Shaft.
Ich geh dann jetzt mal schlafen.
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Am nächsten Tag habe ich Schnupfen.
»Wie war’s?«, fragt Giles und grinst.
Ich finde London super!