Bureau Johannes Erler – über – Die neue Kolumne in der PAGE & über Brüche – Die erste Kolumne in der PAGE

über – Die neue Kolumne in der PAGE & über Brüche – Die erste Kolumne in der PAGE

Autor

Johannes Erler

Kategorie

Kolumne

Datum

01.08.2016

Seit drei Monaten bin ich Kolumnist. Die PAGE hat mir diese Möglichkeit gegeben, die ich sehr gerne nutze. Ausgangspunkt für den monatlichen Text sind die Creative Mornings, die ErlerSkibbeTönsmann seit April im designxport in Hamburg veranstaltet.

Creative Mornings wurden 2008 von der Bloggerin Tina Eisenberg (Swissmiss) in New York gegründet. Die Form des kurzen Frühstücksvortrags fand sofort begeisterte Mitmacher in aller Welt und mittlerweile gibt es Creative Mornings in 152 Städten auf dem gesamten Globus. Hamburg ist neben Berlin, München, Köln und Düsseldorf einer von fünf deutschen Austragungsorten. Um eine Creative Mornings-Lizenz muss man sich relativ aufwändig bewerben, was Henning mit viel Enthusiasmus geschafft hat.

Für die Durchführung haben wir Partner gefunden. Der sehr schöne Veranstaltungsort ist der designxport, Hamburgs Anlaufstelle für Design und Wirtschaft unter der Leitung unserer alten Freundin Babette Peters. Die Filmdokumentation drehen und schneiden regelmäßig Urs Mader und Simon Wahlers. Die Fotos kommen von Mitja Schneehage und die Organisation übernimmt regelmäßig Inga Albers aus unserem Büro.

Für das kleine Frühstücksbuffet und als Medienpartner konnten wir die PAGE gewinnen. Und für die PAGE schreibe ich jetzt eben auch meine Creative Mornings-Kolumne, die das monatliche Vortragsthema aufgreift und mit Design verbindet. Denn die Sprecher sind keine Designer. Sie kommen aus allen Bereichen des Lebens und nehmen das monatliche Stichwort, das aus New York vorgegeben wird, auf und reflektieren darüber.

Unser erster Gast im April war der Weltumsegler Boris Herrmann zum Thema ›Risiko‹. Dann kamen Michael Günther, Dramaturg am Hamburger Thalia Theater (›Realität‹), Dirk Luckow, Chef des Hamburger Museums Deichtorhallen (›Brüche‹) und zuletzt Michael Fritz von Viva con Agua, einer Organisation, die sich für den menschenwürdigen Zugang zu Trinkwasser in aller Welt einsetzt, zum Thema ›Liebe‹. Es lohnt sich also immer zuzuhören. Und wer in Hamburg lebt, sollte sich ab jetzt über die Facebookseite Creative Mornings Hamburg informieren. Im Moment ist Sommerpause, aber im September geht es weiter.

Nach ein paar Versuchen habe ich jetzt den Namen ›über‹ für meine Kolumne gefunden. ›über Risiko‹ also oder ›über Realität‹. Die dritte Kolumne ›über Brüche‹ folgt jetzt gleich hier, die beiden ersten Ausgaben sind auf PAGE online zu finden. Hier sind die Links: Risiko und Realität. (Es kann sein, dass die PAGE-Links nicht immer funktionieren. Dann könnt ihr die Kolumne über www.page-online.de und über das Suchwort ›Erler‹ finden.

Hier nun also (unter dem Bild geht es weiter) die Kolumne Nummer 3, ›Brüche‹. Die nächste Kolumne trägt dann den schönen Titel ›über Liebe‹.

über Brüche

Als Prince Roger Nelson gestorben war, beschrieb der Münchner Musikproduzent Mathias Modica, wie er einmal das Geheimnis seines Idols entdeckt hatte. Prince spielte nämlich auf eine nur ihm eigene Weise vor dem Takt, kaum bemerkbar, aber so genial, dass es anders klang. So hatte Prince den Funk neu erfunden – indem er ihn brach.

»Gebrochen« – das klingt erst mal nach »verletzt«, »beschädigt«, »kaputt«. Brüche versuchen wir zu vermeiden und zu verstecken. Eine Regel in der Welt der Manager lautet: »Never explain, never complain!« Wenn du einen Fehler gemacht hast: Niemals rechtfertigen, niemals jammern.

»Brüche sind tabu«, meint auch der Kunsthistoriker Dirk Luckow, Leiter der Hamburger Deichtorhallen, eines der großen europäischen Ausstellungshäuser für Fotografie und zeitgenössische Kunst. »Über Brüche spricht man zurückgezogen mit seinem Therapeuten oder Freund. Für die Kunst sind sie jedoch ein Motor. Sie bieten die Möglichkeit, essenziell auf das Leben zu schauen. Der Künstler nutzt die Sensibilität des Gebrochenseins. Das fasziniert den Betrachter. Der Künstler leidet auch für uns.«

Man muss das eigene Leid ja nicht gleich zum Zentrum seiner Arbeit machen, wie der dänische Künstler Jeppe Hein, der seine Depressionen in dem Buch »The Happiness of Burnout« aufschreiben ließ. Aber ist die Alternative zum Fehler wirklich nur Perfektion? Das Beispiel von Prince zeigt doch, dass erst der Bruch seine Musik so großartig gemacht hat.

Der in Berlin lebende koreanische Philosoph Byung-Chul Han beschreibt in seinem Buch »Die Errettung des Schönen« den modernen Fetisch des Perfekten. »Die Welt des Glatten ist eine Welt des Kulinarischen, eine Welt reiner Positivität, in der es keinen Schmerz, keine Verletzung, keine Schuld gibt«, erklärt er. »Die heutige Positivgesellschaft baut immer mehr die Negativität der Verletzung ab. Gemieden wird jeder hohe Einsatz, der zu Verletzungen führen würde.« Aber: »Ohne Verletzungen gibt es keine Wahrheit, ja nicht einmal Wahrnehmen.«

Auch in der modernen Markengestaltung sind Fehler nicht gerade populär. Die von Designern als chromglänzende Kathedralen inszenierten Autosalons zum Beispiel spiegeln über die Makel einer Industrie hinweg, die das Wort »Schuld« selbst dann noch zu vermeiden sucht, wenn diese längst bewiesen ist. Und der Fall VW steht stellvertretend für den steten Versuch perfekter Illusionen, die auch das Design so brillant beherrscht, um die Welt mit einer glänzenden Oberfläche zu lackieren.

Da mutet es fast märchenhaft an, dass in den 1990er Jahren der damalige Volvo-Chef Sören Gyll laut überlegte, Autos wieder unsicherer zu bauen, um das Fahren sicherer zu machen. Seine schlaue Idee: Wenn sich der Mensch seiner Verletzlichkeit bewusst sei, würde er vorsichtiger lenken. Man stelle sich diesen Vorschlag heute aus dem Mund von VW-CEO Matthias Müller vor. Doch im Wettbewerb der Perfekten werden dreckige oder zweifelnde Thesen unmöglich.

Die Frage ist doch aber, was passiert, wenn ständig verbesserte Standards unsere Erwartungshaltungen ins Unerfüllbare steigern. Längst ärgern wir uns täglich genau darüber. Das Problem scheint kaum lösbar, weil es systemisch ist. Interessant ist trotzdem, was sein wird, wenn wir die von Byung-Chul Han so treffend analysierte Positivgesellschaft nicht mehr ertragen. Wie verändern sich dann Marken? Und wie das Design? Die Kunst zeigt schon mal, wie erfrischend Fehler sein können.

Und das nehme ich mit von Dirk Luckow: Nichts berührt Menschen mehr als der menschliche Makel.

PS: Der Künstler Jeff Koons ist der Papst des Polierten – und entzieht sich damit jeder Deutung. Auf die Frage, was der Betrachter sich denn denken solle, wenn er seine Chromskulpturen anschaue, antwortete Koons: »Nichts. Nur ein simples ›Wow‹!«

Bureau Johannes Erler – über – Die neue Kolumne in der PAGE & über Brüche – Die erste Kolumne in der PAGE