Bureau Johannes Erler – über Transparenz

über Transparenz

Ein neuer Vortrag bei den von ErlerSkibbeTönsmann veranstalteten creative mornings, diesmal von Ralf Wiegand, Journalist im Investigativteam der Süddeutschen Zeitung. Es geht um die Panama Papers, das gigantische Datenleak einer Anwaltskanzlei in Panama City und deren verschlungene Machenschaften für die Reichen dieser Welt. Und es geht um das Thema Transparenz. Ein toller Vortrag, den man sich auf Video hier anschauen kann. Und was das am Ende mit Design zu tun hat, habe ich für meine monatliche Kolumne in der PAGE aufgeschrieben.

Autor

Johannes Erler

Kategorie

Kolumne

Datum

16.12.2016

Transparenz. Zentraler Grundwert offener Gesellschaften. Archaisch betrachtet jedoch eher das Letzte, was Mensch braucht, um Jagdgründe, Feuer und Höhlen vor Feinden zu verstecken. Transparent sollen vor allem die anderen sein. Das Dilemma ist also: alles wissen, aber nichts preisgeben wollen. Wie geht das zusammen?

Der Rückzug ins Verborgene fiel mir erstmals vor zehn Jahren während einer Reise nach New York auf. Und zwar durch Design. Das schicke Hotel, in dem alle wohnen wollten, war eine düstere Höhle, die winzigen Zimmer schwarz gestrichen. In Deutschland war alles hippe noch hell, durchscheinend und weitläufig. Die gläserne Architektur machte Büros zu Puppenhäusern und Mitarbeiter nomadisierten ohne festen Platz durch die lichten Großräume ihrer Startups. Mittlerweile ist die Dunkelwelle auch über Deutschland geschwappt. Das Transparente, Glatte existiert zwar noch, nebenan jedoch hat sich etwas breit gemacht, was als Rückzug ins Private, Undurchschaubare zu deuten ist. Denn Transparenz bietet kaum Schutz. So geriet Transparenz als Idealbild einer modernen Welt an seine Grenzen. Und oft wirkt die Umkehr retrospektiv oder gar reaktionär.

Ralf Wiegands Vortrag über die Panama Papers ist spannend wie ein Krimi und Transparenz im erhabensten Sinne. Die hochprofessionellen Enthüllungen von ICIJ, dem größten journalistischen Investigativverbundes aller Zeiten, über eine panamesische Geldwaschkanzlei wecken Hoffnungen. Das aufgearbeitete Datenvolumen ist mit 2,6 Terabyte 1500 mal so groß wie Cablegate, das Wikileaks 2010 veröffentlichte. Auf meine Frage, ob das Aufdecken solcher Schweinereien nicht aber auch jenen in die Karten spielt, die »denen da oben« populistisch am Zeug flicken wollen, reagiert Wiegand verständnislos und ich kann das verstehen. Muss man die Schnauze halten, nur weil es den Falschen helfen könnte? Natürlich nicht. Aber was ist eigentlich mit den eigenen Schmuddelecken? Den falschen Bewirtungsbelegen und ermogelten Krankschreibungen? Mit den Flunkereien und Notlügen, die Vorteile oder Zeit verschaffen? Wo setzt Transparenz an? Und wo liegen die Grenzen zwischen Wirhierunten und Diedaoben?

Wer US-Präsident werden will, wird im Wahlkampf durchleuchtet, wie kein anderer Mensch auf diesem Planeten, denn Politik ist die Königsdisziplin in Transparenz (In Dave Eggers Roman »The Circle« trägt die Politikerin Olivia Santos bereits eine 24h-Kamera um den Hals). Für Donald Trump verhieß das nichts Gutes. Kaum jemand glaubte, dass er all die Lügen und Sauereien, die stündlich ans Licht kamen, überstehen würde. Nun ist Trump Präsident. Und es stellt sich die Frage, ob ihn seine Wähler auch deshalb wollten, weil sie der grellen Transparenz und Political Correctness schlicht überdrüssig waren. Trump wäre dann so etwas, wie der Messias der Intransparenz und öffnet einer Gegenbewegung Tür und Tor, die das Anonyme, Verschleierte und oft zutiefst Egoistische feiert. Fiese Vorstellung. Aber auch Reaktion.

Schlussgedanke: Als die Panama Papers am 3. 4. 2016 in meiner Timeline auf Facebook aufpoppten, glaubte ich zunächst an einen Netflix-Teaser, so fiktiv wirkten Name, Logo und die Illustrationen zum Launch. Das Problem war ja, dass es keine Beweisbilder gab. Dies zeigt, wie sehr Fotos und Videos zum Beleg angeblicher Wahrheiten geworden sind – was natürlich Quatsch ist. Andersrum wirken Serien wie Homeland oder House of Cards so realistisch, dass man deren Scoops ständig in den Nachrichten vermutet. Realität und Ficton verschwimmen. Das Unwirkliche wirkt authentischer, investigativer und transparenter, als die Wirklichkeit selbst. Noch so Grenzgang.

Ralf Wiegand und sein Team haben alles richtig gemacht. Aber bedingungslose Transparenz bleibt schwieriges Terrain.

PS: Video kucken! Ist ein Stück Zeitgeschichte!

Bureau Johannes Erler – über Transparenz