Bureau Johannes Erler – Designkritik-Kolumne #1: Das neue Redesign der Lufthansa

Designkritik-Kolumne #1:
Das neue Redesign der Lufthansa

Wie beurteilt man Design? In unserer neuen Kolumne übt Gestalter Johannes Erler den Dreisprung: »Hirn« meint die nüchterne, rationale Betrachtung. »Hand« untersucht die handwerkliche Qualität. »Herz« steht für den emotionalen, persönlichen Eindruck. Zum Auftakt nimmt er das Lufthansa-Redesign unter die Lupe

Autor

Johannes Erler

Kategorie

Kolumne

Datum

07.04.2018

Designkritik ist in die Kritik geraten. Weil sie immer öfter in den sozialen Medien stattfindet, initiiert von Marketing-Blättern, die es schaffen, Designer zu animieren, die Arbeit von Kollegen mit schlecht recherchierten, emotionalen Schnellschüssen zu richten.

Ich habe das auch schon mal gemacht und schnell gemerkt, dass es eine Sackgasse ist. Es fehlt an Information, Zeit und Abstand und dient letztlich nur der eigenen Profilierung. Was dabei jedoch übersehen wird: das ohnehin schwer vermittelbare Thema Design schießt sich auf diese Weise ein weiteres Eigentor.

Dabei ist profunde Designkritik wichtig und interessant. Ich bin deshalb dankbar, dass die PAGE mir die Möglichkeit gibt, ab jetzt regelmäßig eine solche zu schreiben. Ob es mir gelingt, sollen bitte andere beurteilen. Auf jeden Fall bemühe ich mich um Sachlichkeit – ohne die emotionale Seite, die immer eine Rolle spielt, wenn es um die Beurteilung von Design geht, zu vernachlässigen.

Die Kolumne heißt Hirn / Hand / Herz. Wie das gemeint ist, steht im Vorspann der ersten Folge. Viel Spaß!

 

Hirn / Hand / Herz (Folge 1, PAGE 5/18)

Wie beurteilt man Design? In unserer neuen Kolumne übt Gestalter Johannes Erler den Dreisprung: »Hirn« meintdie nüchterne, rationale Betrachtung. »Hand« untersucht die handwerkliche Qualität. »Herz« steht für den emotionalen, persönlichen Eindruck. Zum Auftakt nimmt er das Lufthansa-Redesign unter die Lupe

 

Die Flosse der Nation

Es ist die Flosse. In der neu gestalteten Heckflosse der Lufthansa-Flieger kumulierte jüngst die lautstarke Diskussion um den Design-Relaunch: Die einen beweinten das verlorene Gelb, die anderen bejubelten die tiefblaue Konsequenz. Zeitweise hatte es was von einer nationalen Angelegenheit.

Ist da was dran? Ist das Erscheinungsbild der Lufthansa mehr als Form und Farbe? Vielleicht sogar Indikator eines gesellschaftlichen Zustandes? Ich denke schon. Aber der Reihe nach.

HIRN / Zum 100. Unternehmensgeburtstag Identität und Design zu schärfen, ist eine gute Idee. Wer das in Planung, Umsetzung und Dokumentation so gut hinkriegt, wie die Lufthansa, kann stolz sein. Denn das neue Corporate Design ist eine perfekt geölte Designmaschine, clever konzipiert, grundiert mit einer klar erkennbaren Haltung, verwirklicht auf höchstem Niveau.

»Wir wollen das neue Premium-Gefühl widerspiegeln.«, sagt Alexander Schlaubitz, Vice President Marketing der LH, und meint das sehr ernst. Premium ist: vorne. Für das Wort Premium gibt es grammatikalisch keine Steigerung. Und Premium als Fluglinie kann nur bedeuten: Business statt Economy. Teuer statt günstig. Nicht mehr Volksflieger der Deutschen (bisher ein fast schon sozialisiertes Gemeinschaftsgefühl), sondern globale Airline der ökonomischen Elite. Das neue Erscheinungsbild spiegelt dies in jeder Facette.

HAND / Premium ist ein schmaler Grat, den zu gehen Mut und maximal konsequentes Handeln verlangt. Man gerät dabei an Grenzen und manchmal darüber hinaus. Drei handwerkliche Beispiele, wie das Lufthansa-CD Gestaltungsspielräume ausreizt – und dabei einmal daneben liegt.

Das Logo: Offenere Zwischenräume und die straffere Körperhaltung zeichnen den Kranich scharf wie ein Wurfmesser. Eines der besten Logos der Welt ist jetzt auch eines der kühlsten.

Die Schrift: Gegen die neue Lufthansa-Type wirkt die olle Helvetica wie ein warmes, Dampfbad. Diese technische Kälte hält die Schrift bis in die hintersten Glyphen durch. Vor allem die kräftigen Schnitte zeigen Könnerschaft, auch wenn das Ergebnis weniger markant ist, als die Lufthansa behauptet.

Die Farbe: Die Idee, das tiefste Blau der Welt zu entwickeln und als einzigen Ton auf die Heckflosse zu sprühen, war falsch, denn von Weitem und im Dunklen ist der filigrane Kranich schwer zu erkennen und das Nachtblau wirkt wie Schwarz – was den gelben Punkt rehabilitiert, der nicht nur freundlicher, sondern als Fokus in höchsten Höhen erkennbar war. Auch die angekündigte Nachbesserung des Blautons wird das nicht kompensieren.

HERZ / Am Ende ist es also die Flosse. Nicht nur, weil sie handwerklich schwierig ist, sondern vor allem, weil sie das Narrativ einer Fluggesellschaft symbolisiert. Sie steht zentral für alles, was die Lufthansa sein will.

Otl Aicher, begnadeter Handwerker und wortgewaltiger Großmeister des Narrativs im Design, wusste dies, als er 1962 den Kranich in die Sonne fliegen ließ und damit nicht einfach nur ein Logo schuf, sondern das einende Symbol für die Sehnsucht einer jungen Nation, die endlich wieder in die Welt wollte. Der deutsche Traum vom sicheren Fliegen, programmatisch verwirklicht in einem einzigen, genialen Piktogramm.

Das ist jetzt weg. Sicherheit strahlt das neue CD noch immer aus, aber die Sehnsucht ist verschwunden und auch die Warmherzigkeit, die zu den formulierten LH-Kernwerten gehört, aber in der Flosse nicht erkennbar ist. Die Lufthansa will nicht mehr einen. Sie koppelt sich über das Design ab von denen, die es sich nicht leisten können.

»Markenarbeit ist die Sichtbarmachung innerer Haltung«, sagt Peter Martin von Martin et Karczinski. Und das neue Narrativ heißt: Premium als effizient cooler Upper Class-Club. Das passt in die Zeit.

Es war ein weiter Weg vom euphorischen Aufbruch in die Welt der Sechziger bis zum Premium-Land mit Heimatministerium heute. Das Erscheinungsbild der Lufthansa spannt diesen historischen Bogen auf bemerkenswerte Weise. Werde ich deshalb sentimental? Nicht wirklich. Ich ziehe mich nur ein bisschen wärmer an.

 

Relaunch Lufthansa Corporate Design
Teamleitung Lufthansa: Alexander Schlaubitz
Designleitung Lufthansa: Martin Wild
Agentur: Martin et Karczinski, München
Teamleitung: Peter Martin
Schrift: Hannes von Döhren, Berlin
Farbdesign: David Hedley Noble/Aerobrand

Bureau Johannes Erler – Designkritik-Kolumne #1: Das neue Redesign der Lufthansa