Bureau Johannes Erler – über Big Data

über Big Data

Eine neue PAGE-Kolumne zu den Creative Mornings, die EST einmal im Monat im designXport in Hamburg veranstaltet. Diesmal geht es um eines der Hype-Themen unserer Zeit: Big Data.

Autor

Johannes Erler

Kategorie

Kolumne

Datum

07.05.2017

Schon irre, wie der Mensch immer wieder denen hinterherrennt, die von sich behaupten, allwissend zu sein – eigentlich ja eine göttliche Gabe, die aber auch prima taugt, andere zu beherrschen oder ihnen zumindest das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und der neue, heiße Ich-weiß-alles-Scheiß heißt: Big Data.

Einer dieser Big Data-Apologen, der Brite Alexander Nix, feierte sich jüngst dafür, Donald Trump zum Präsidenten gemacht zu haben. Angeblich wertete Nix’ Unternehmen Cambridge Analytica digitale Psychogramme von über 200 Mio. Amerikanern und deren Vorlieben und Ängste aus. Aus gefundenen Übereinstimmungen entstand eine mehrheitsfähige Menschenmasse, die Trump mit maßgeschneiderten Wahlversprechen köderte – Populismus auf Big Data. Und ob Trumps krudes Wahlprogramm auch seine persönliche Haltung widerspiegelte, war bis zum Wahltriumph erstmal egal. Kein Wunder, dass Nix sich wie der liebe Gott gerierte.

Nur mal angenommen, Trump würde nach dem Big Data-Wahlsieg nun auch Big Data-Politik machen und die Social Media-Ergüsse seiner Fans wären die Grundlage seiner Dekrete, dann käme dabei wahrscheinlich exakt so ein Irrsinn wie der »Muslim Travel Ban« raus (ein Schelm, wer Böses dabei denkt). Ist Big Data also eine großartige neue Möglichkeit, die Welt zu erobern, oder im Gegenteil der Triumph der reaktionären Mittelmäßigkeit? Es kommt auf den Standpunkt an.

»Datengetriebenes Marketing« nennt Niels Jensen das Prinzip etwas weniger reißerisch und macht keinen Hehl daraus, dass auch er geradezu missionarischen Eifer entwickelte, als er 2006 begann, die Daten potentieller Kunden zur alleinigen Vertriebsgrundlage von Produkten machte. Jensen erklärt es am Beispiel Zalando: ausschließlich messbare Kundenbedürfnisse waren die Grundlage für Ein- und Verkauf, nicht mehr Werbekampagnen, PR, Design oder so etwas profanes wie der richtige Riecher. Der Big Data-Dreh ist also: In riesigem Stil messen, was begehrt ist und dann diese Bedürfnisse exakt und opportunistisch bedienen. Zalando und Trump gingen durch die Decke. Aber hält der Hype, was er verspricht? Und kann so Neues entstehen?

Kaum. Denn erstens kann Big Data-Marketing nur auf das bauen, was schon da ist, und zweitens sucht Big Data immer nach dem Durchschnitt, weil der am einfachsten und lukrativsten zu melken ist. Big Data ist Mainstream. Das Gegenteil von originell. Der Feind von Kreativität – und damit ein Konzept, mit dem sich vielleicht mal eine Wahl oder ein Pitch gewinnen lässt, das aber schnell an Zugkraft verliert, weil es fürchterlich langweilig und durchschaubar ist. Zalando hat längst schon Probleme und Trump wird sie auch bekommen.

Das Design sehe ich in diesem Kontext an einem Scheidepunkt. Weil Design den einzigartigen, progressiven Unterschied ausmachen kann – oder dem Big Data-Mainstream Zucker gibt, in dem es das Berechnende, Banale aufhübscht. Wir sehen solche Entwicklungen heute in allen kreativen Bereichen. In der Musik des Formatradios, dem Blockbuster-Superhelden-Kino oder den »Bau Dir Deine eigene Website«-Templates: all dies sind ja schon Daten-Derivate in großem Stil, die ganze Industrien speisen, aber die Welt zunehmend in einer zuckersüßen Me Too-Sauce versinken lassen.

Unsere Antworten auf Big Data sind schlaue, mutige Ideen und maximale Empathie. Beides wird Big Data nie haben und beides sollten wir uns teuer bezahlen lassen. Kreative sind mehr denn je als Innovatoren gefragt. Und die Zukunft kreativer Berufe liegt nicht im Nachäffen – das wird Big Data bald schon besser, schneller und billiger können – sondern im neu erfinden.

Und das nehme ich mit von Niels Jensen: Big Data ist ein funkelnder Scheinriese.

PS: Wie man sich gegen Big Data-Manipulation schützen kann? Immer genau hinschauen, wer zu einem spricht! Das müssen wir alle in der neuen Welt der Kommunikation noch viel besser lernen. Und im Wahljahr 2017 wird es wichtig sein.

Bureau Johannes Erler – über Big Data